Tashkent, der Hauptstadt Usbekistans, fühle ich mich besonders verbunden. Oft habe ich am dortigen Opernhaus, dem „Theater Navoi“, dirigiert. Ich bin dann auch in die mystischen Städte der Seidenstrasse gefahren, nach Samarkand, Buchara und Chiwa. Die Architektur beeindruckte mich tief, ebenso die Freundlichkeit und Fröhlichkeit der Menschen. Einmal habe ich auch am „Theater Ilkhom“ in Tashkent gearbeitet: Mit den Musikern des „Ensemble Omnibus“ habe ich Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ in der Schönberg-Fassung für Kammerensemble aufgeführt. Das war die zentralasiatische Erstaufführung dieses Werkes. Ich lernte Mark Weil kennen, den 1952 in Tashkent geborenen Regisseur und Leiter des Theaters. Er hatte es 1976 gegründet, als erstes privat geführtes Theater der Sowjetunion. Im Laufe der Jahre hatte er einen Stamm von Schauspielern, Tänzern und Musikern an das Theater gebunden, mit denen er von den griechischen Klassikern bis zur Moderne Avantgarde-Theater machte. Im September 2007 wurde er auf offener Strasse ermordet. Ich beschloß spontan, ein Requiem zu komponieren. Es ist dem Andenken Mark Weils gewidmet, und den Musikern des „Ensemble Omnibus“ zugeeignet. Gleichzeitig ist es für alle die fantastischen Musiker geschrieben, mit denen ich in der GUS gearbeitet habe. Viele von ihnen sind der Musik verlorengegangen, sei es, daß sie emigriert sind, sei es, daß sie als Taxifahrer, Bauarbeiter oder als Händler auf den Märkten ihren Lebensunterhalt verdienen. Selbst diejenigen, die immer noch in den Orchestern spielen, drohen unter dem Druck des sich radikal ändernden, schweren Lebens seelisch zu verkümmern. Das „Tashkenter Requiem“ ist für fünfzehn Instrumente geschrieben, ohne Gesang, ohne Text. Es sind die üblichen „westlichen“ Instrumente: Holzbläser, Horn, Schlagzeug, Gitarre, Klavier, Streicher, und ein usbekisches, das Tshang. Das Hauptthema ist eine Melodie, die ich einer Koran-Rezitation nachempfunden habe. Als Form verwende ich die traditionellen Sätze des christlichen Requiems. Ausserdem kommen Shofar- Signale vor. Ich wollte so die drei großen monotheistischen Religionen verbinden, die jeweils Beziehungen zu den Beteiligten haben: zu Mark Weil, den Musikern, dem Komponisten.