Sieben Lieder für Sopran und Violoncello nach Gedichten von Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942)
Czernowitz – die Stadt, in der Menschen und Bücher lebten – ist einer der faszinierendsten Orte, die ich in meinen Wanderjahren als Dirigent durch das weite Land des ehemaligen Sowjetreiches kennengelent habe. Wie man auf alten Postkarten sehen kann, ist das Stadtzentrum aus der k.u.k. Zeit weitgehend erhalten. Große Schriftsteller kamen von dort, z. B. Rose Ausländer, Paul Celan, Gregor von Rezzori. Sie schrieben meist auf deutsch. Auch große jiddische Schriftsteller und Dichter lebten dort: Elieser Steinbarg, Itzig Manger, oder Josef Burg (1912-2009), den ich noch kennenlernen durfte. In seiner Wohnung hing ein Bild von Kaiser Franz Joseph. Er hatte im Laufe seines Lebens mehrere Nationalitäten: die österreichisch-ungarische, die rumänische, die sowjetische, und zuletzt die ukrainische. Zu all diesen Staaten gehörte Czernowitz im 20. Jahrhundert. Selma Meerbaum-Eisinger wurde dort 1924 geboren. Schon mit fünfzehn schrieb sie Gedichte in deutscher Sprache. Das jüdische Mädchen starb 1942 achtzehnjährig in einem deutsch-rumänischen Arbeitslager in Transnistrien. Das Heft mit ihren Gedichten wurde nach ihrem Tod von einer Schulfreundin gerettet, die es auf ihrer Flucht nach Palästina mitnahm. Dort, im Israel der siebziger Jahre, publizierte sie ihr ehemaliger Czernowitzer Klassenlehrer als Privatdruck, nachdem bereits ein Gedicht in einer DDR-Anthologie erschienen war. 1980 schrieb der Publizist Jürgen Serke („Die verbrannten Dichter“) darüber in einer westdeutschen Zeitschrift, und initiierte dadurch die Gesamtausgabe. Mich trafen die Gedichte und Selmas Schicksal ins Herz. Die Geschichte dieser wundersamen Rettung ihres Werkes passt zu Czernowitz. In Sadagora, beinahe ein Vorort, hatte damals eine Dynastie von Wunderrabbis ihren Sitz. Als ob ein Gott gewollt hätte, daß diese reine Lyrik eines jungen Mädchens die Stürme der Barbarei überlebte.